Eine Kindheit im Schatten des Holocaust
Arthur Langerman wurde im August 1942 in Antwerpen geboren. Sein Vater Salomon war in den 1920er-Jahren aus Krakau über Duisburg nach Belgien emigriert, wo er im Januar 1941 die in Warschau gebürtige Zysla Brandla Blajwas heiratete. Beide wurden im März 1944 verhaftet und zwei Monate später vom Sammellager Mechelen aus nach Auschwitz deportiert. Arthur – zu diesem Zeitpunkt noch keine zwei Jahre alt – überlebte in einem Kinderheim der „Association des Juifs en Belgique“, der Pouponnière de la rue Baron de Castro in Etterbeek. Sein Vater starb im Frühjahr 1945 in einem Außenlager des KZ Flossenbürg; mindestens 18 weitere nahe Verwandte wurden von den Nationalsozialisten ermordet.
Arthurs Mutter breitete nach ihrer Befreiung einen Mantel des Schweigens über ihr Leiden in den Konzentrationslagern Auschwitz, Ravensbrück und Neustadt-Glewe sowie über das Schicksal ihrer Familienangehörigen. Gleichwohl waren der Holocaust und die ermordeten Familienmitglieder im Hause Langerman stets omnipräsent.

ca. 1945/46

ca. 1945/46
Auf der Suche nach den Ursachen des Judenhasses

Als Adolf Eichmann 1961 in Jerusalem vor Gericht stand, erregte der weltweit verfolgte Prozess gegen den Organisator des nationalsozialistischen Judenmords auch Arthur Langermans Aufmerksamkeit. Auf der Suche nach einer Erklärung für den Judenhass, dessen dramatische Folgen nun öffentlich verhandelt wurden, begann er, antisemitische Bilder zu erwerben. Seine damalige Motivation beschreibt er heute wie folgt:
Ich wollte verstehen, was die Juden so Schlimmes getan haben, dass sie so grausam behandelt wurden. Ich wollte verstehen, warum die Menschen so einen Hass auf die Juden hatten.

Das Sammeln antisemitischer Darstellungen stellte für ihn dabei eine Form der Bewältigung der familiären Verluste dar; die hasserfüllten judenfeindlichen Postkarten, Plakate, Flugschriften und Zeichnungen halfen ihm, die lange Geschichte des Antisemitismus und die Ursachen des Mordes an den europäischen Juden und Jüdinnen besser zu begreifen. In Karikaturisten wie Philipp Rupprecht, dem Zeichner des nationalsozialistischen Hetzblattes Der Stürmer, sah und sieht er entscheidende Wegbereiter des Holocaust.
Aus der anfänglich eher willkürlichen Suche nach Antisemitika entwickelten sich im Laufe der Jahrzehnte eine Passion und eine weltweite, systematische und professionalisierte Sammlertätigkeit. Arthur Langerman, der sich auch als erfolgreicher Unternehmer und Übersetzer der Werke Scholem Alejchems einen Namen machte, wurde zu einer Instanz in der internationalen Sammlerszene.
Innerhalb seiner Familie und seines Freundeskreises stießen die gesammelten Artefakte, die Arthur Langerman all die Jahre in seiner Privatwohnung aufbewahrte, meist auf Unverständnis und Ablehnung. Infolgedessen ging er seiner Passion lange Zeit in erster Linie für sich selbst nach, ohne das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit zu suchen

Philipp Rupprecht, 2019
Vom Sammler zum Aktivisten für Aufklärung und Humanismus
Als in den 2010er-Jahren antisemitische Straftaten und Äußerungen zunahmen, entschied sich Arthur Langerman jedoch zu einem Kurswechsel.
In den letzten Jahren hat sich die Situation in der Welt leider verändert. Der Antisemitismus wird wieder stärker. Juden werden beschimpft und angegriffen, und immer weniger Jugendliche wissen, was die Shoah war. Ich hätte niemals gedacht, dass es wieder soweit kommen würde.
Alarmiert und zutiefst beunruhigt beschloss er 2017, nach über einem halben Jahrhundert privaten Sammelns, sein Archiv für Forschung, Ausstellungen und Bildungsarbeit zur Verfügung zu stellen. Es ist sein ausdrücklicher Wunsch, dass seine Sammlung genutzt wird, um die Geschichte und Wirkung antijüdischer Vorurteile zu erforschen, über sie aufzuklären und als Warnung für heutige und zukünftige Generationen zu dienen.
Im März 2019 schenkte er seine Sammlung der Arthur Langerman Foundation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, seinen Wunsch in die Tat umzusetzen und sein Engagement fortzuführen.

Im Juni 2017 gab Arthur Langerman dem United States Holocaust Memorial Museum ein ausführliches Oral History Interview, das Sie hier finden können.
Im Februar 2018 erschien mit dem Dokumentarfilm Le Collectionneur von Pierre Maillard ein filmisches Portrait von Arthur Langerman und seiner ungewöhnlichen Passion.